Eine lange Nacht


Es ist Samstag Abend. Ich sitze mal wieder in der Kneipe...

Es ist Samstag Abend. Ich sitze mal wieder in der Kneipe. Natürlich. Heute bin ich dazu auch noch sehr schlecht gelaunt. Der Grund dafür ist eine kurze Nachricht auf meinem Handy gewesen, aber lassen wir das. Um mich rum die Menschen sind ausgelassen und feiern. Ist nach einer langen Arbeitswoche auch ihr gutes Recht. Mich stört es jedenfalls nicht. Ich kann auch ganz prima mit mir alleine und meiner schlechten Laune klarkommen. Ist ja auch nicht so, daß ich mich nicht an einem x-beliebigen anderen Samstag Abend mitten rein in den Amüsierbetrieb stürzen würde. Heute aber nicht. Ich sitze also inmitten des partywilligen Volkes und genieße den Krach der aus den Boxen dröhnt, der es mir leichter macht, alles um mich herum zu vergessen. Schließlich bin ich hier um mich ordentlich zu betrinken. Aber nicht einmal das Bier schmeckt. Ein sonderbarer Tag ist das. Bis zu dieser blöden Nachricht war ja auch noch alles ok. Gut, scheiß drauf, man kann nicht immer auf der Sonnenseite stehen. Gegen das was einem sonst so wiederfahren ist, handelt es sich bei der momentanen Sache eh nur um Kleinkram.
Der Anfang: NEIN!!
Trotz des Krachs und meinem Willen ein halbbesoffenes Autisten-Dasein zu führen, verstehe ich ein paar Wortfetzen von dem Pärchen was sich neben mir angeregt unterhält. Er sagt so etwas wie: "Das fand ich wirklich super-nett heute Abend." und sie "Ja, war wirklich total schön." Meine Nackenhaare stehen automatisch zu Berge. Aber es geht mir am Arsch vorbei. Schließlich bin ich nicht dazu da Probleme solcher Schleimscheißer-Existenzen zu lösen. Welche Probleme ? Tut mir leid, die beiden müssen Probleme haben, denn sonst würden sie sich wohl kaum gegenseitig versichern wie extrem dufte der Abend doch war. Und dann auch noch mit solchen Unworten.
Der Typ geht mir nun aber langsam richtig auf den Sack. Nicht nur, dass er die Frau in meiner unmittelbaren Nähe vollsabbern muß, er lehnt sich dabei auch immer so weit rüber, dass er, aufgrund der an der Theke herrschenden Enge, ständig halb auf mir drauf hängt. Den Hippie scheint es nicht im mindesten zu stören, aber ich stehe nicht auf Körperkontakt mit jedem. Ein Wunder, daß dieses Spatzenhirn überhaupt noch etwas merkt, aber nachdem mein Gesicht schon recht bedrohliche Züge angenommen hat, fragt er mich, ob er mir auf die Nerven geht. Ich antworte wahrheitsgemäß mit "ja". Es kam so wie es kommen musste: das lockenköpfige Arschloch fängt an mit mir "darüber reden" zu wollen. Ich versuche ihm klarzumachen, daß ich mich aufgrund physikalischer Gesetze außer Stande sehe mich in Luft aufzulösen und darauf hin ihn doch bitten würde, jemand anders ständig auf den Schoß zu hüpfen. Das Locken-Arschloch meint dann, ob ich nicht vielleicht 10 Zentimeter rücken könne, schließlich sei neben mir noch ein wenig Platz. Die Antwort bedurfte keiner großen Überlegung: "Nein." Jetzt wird Löckchen ein wenig böse und meint mit mir weiterhin diskutieren zu müssen. Ich habe aber schon das Interesse an jedweder Konversation verloren und schaue wieder gelangweilt vor mich hin. Superhirn redet weiter und sich dabei vollends in Rage, ich nippe teilnahmslos an meinem Bier. Fürs erste haut er ab, ich bekomme nicht mehr mit was er noch sagt, bin wieder vollends Autist.
ging es hier um diese Frau?

Mir hätte es eigentlich klar sein müssen, aber es entsetzt mich immer wieder mit welch penetranter Hartnäckigkeit solche Menschen ausgestattet sind. Nachdem er sich für ca.2 Minuten von mir ferngehalten hatte, startet er einen neuen Angriff. Wahrscheinlich hat er sich gedacht, gerade nicht eben günstig vor seiner Frau abgeschnitten zu haben, so ignoriert in seiner armseligen Wut. Also kommt jetzt die nette Tour an die Reihe. Er könne es gar nicht verstehen wie ich so reagieren könne und er hätte doch nichts gemacht und überhaupt wolle er doch mit mir mal ein Bier trinken. Meine Miene schien ihm zu verraten, dass der Tag, an dem ich mit ihm ein Bier trinke, wohl das letzte Stündlein der Menschheit sein würde, dann also, wenn eh schon alles scheißegal ist. Da diese Ausgeburt der Hölle nicht aufhört auf mich einzureden und selbst offen zur Schau gestelltes Desinteresse nicht ausreicht um ihn ermüden zu lassen, halte ich es dann doch für nötig etwas zu sagen. Freundlich aber bestimmt bitte ich ihn, jemandem anderes auf die Nerven zu gehen. Da hatte ich nun aber nicht mit dem offensichtlich überreichlichen Selbstvertrauen dieses Menschen (Mensch? Satan persönlich ist das!) gerechnet, denn im Brustton der Überzeugung sagt er: "Ich nerve Dich doch nicht!" Ich bin für einen Moment wirklich fassungslos von dieser so eklatanten Fehleinschätzung der Lage. Ich überlege mir noch kurz ihm Prügel anzudrohen, aber wie durch ein Wunder wird er von mir abgelenkt und schenkt nun seine geschätzte Aufmerksamkeit, wie bereits vorgeschlagen, jemand anderem. Ich werde aus solchen Menschen einfach nicht schlau. Warum um alles in der Welt ist es so schwer zu verstehen, dass man nicht von jedem "supi-nett" gefunden wird ? Welcher innere Drang ist es, immer alles ausdiskutieren zu müssen, wo es doch eigentlich gar nichts zu reden gibt ? Ich meine, es ist mir völlig egal, was Du tust und wer Du bist. Von mir aus gewinn morgen im Lotto und werde steinreich oder stirb bei einem Autounfall auf dem Weg von dieser Kneipe nach Hause. In beiden Fällen wäre meine Reaktion, für den unwahrscheinlichen Fall ich erführe davon, nur ein Achselzucken. Menschen sind mir nicht grundsätzlich gleichgültig, aber muss mich deswegen das Gesprächsangebot jedes dahergelaufenen Studierten interessieren? Dich interessiert es mit Sicherheit auch nicht die Bohne, was ich so denke und tue, nur dann natürlich wenn Du hedonistischer Besserwisser selber davon, in Form von Nichtachtung, betroffen bist.
3:00 Morgens
Über solcherlei philosophischen Gedanken schmeckt mir das Bier langsam wieder. Es ist ja damit eigentlich immer nur eine Frage der Zeit. Erschrecken tut mich das schon lange nicht mehr. Ich bin so einiges von mir gewohnt. Und außerdem war es ja auch das Ziel vermittels Alkohol diese ekelhafte Kurzmitteilung und ihre Folgen zu vergessen. Nun denn: Säufer lasst uns saufen!
Die weiteren Details erspare ich Euch und komme in meiner Erzählung direkt zum nächsten Höhepunkt eines Kneipenabends. Immer wieder lustig wo und unter welchen Umständen man wieder das Licht der Welt erblickt. In diesem Fall liege ich im Eingang einer Bank und schlafe den Schlaf der Gerechten, als mich zwei ausländische Mitbürger wieder in die harte Realität zurückführen. "Ey, Mann, alles klar bei Dir?" Ich brauche einen Moment um zu realisieren was los ist und der andere wiederholt seine Frage. "Ja klar ist alles in Ordnung. Kein Problem." Auf einmal brüllt mich der Typ aus Leibeskräften an: "Und warum liegst Du dann hier rum?" Ich bin so erschrocken und verdattert das ich einfach nur in irgend eine Richtung abhaue. Hinter mir habe ich offensichtlich für eine gelungene morgendliche Belustigung gesorgt. Haha Ihr Arschlöcher kommt mal mit meinem Restalkohol und nach 3 Stunden Schlaf in einem Hauseingang klar.
Wie es der Zufall will, fällt mein Blick auf einen geöffneten Kiosk. Ich brauche ganz dringend etwas zu trinken und denke dabei natürlich zunächst an Mineralwasser oder ähnliches. Da ich aber in einer Proleten-Sippe sozialisiert wurde und daher sich bei mir bereits in frühester Jugend Sprüche wie "man soll mit dem weitermachen, womit man aufgehört hat" fest eingebrannt haben, greife ich schon fast automatisch unter den Blicken des grinsenden Kiosk-Besitzers zum Katerbier. Das einzige was so ein Katerbier bewirkt ist, das merke ich wenige Augenblicke später, dass man wieder ordentlich besoffen für kleines Geld ist. Man nutzt sozusagen den Rausch des Vorabends ein zweites Mal und man kann sich auch noch einbilden der Suff wäre dadurch insgesamt billiger. Geistesriese.
Inzwischen denkt sich mein Mageninhalt er müsste auch noch in diese Diskussion mit mir selber eingreifen und drängt mit aller Macht ins Freie um seine Meinung kundzutun. Gleich noch einen Schluck Bier drauf. Das stabilisiert. Nachdem ich mich ausgereihert habe, mache ich, daß ich wegkomme, denn eigentlich wollte ich nicht die Bekanntschaft der sicher schon vom Geräuschpegel alarmierten Hausbewohner machen, deren Eingang ich gerade vollgekotzt habe. An einer Bahnhaltestelle bleibe ich entkräftet sitzen. Erst jetzt habe ich die Gelegenheit und Muße meine Umgebung genauer zu mustern, wobei ich schnell feststelle, dass ich nicht die Bohne einen Plan habe wo ich bin. Ich versuche krampfhaft den gestrigen Abend zu rekonstruieren und mich zu erinnern wo ich in die Bahn in welche Richtung eingestiegen bin. Es gelingt mir nicht. Stattdessen ist nur mal wieder eines klar: ich bin ganz viel Bahn gefahren diese Nacht. Schlafend. Irgendwo hat mich dann sicher der Schaffner rausgeschmissen. Das wird langsam zur Routine, Junge. Ein Blick zur Uhr, es ist 8.30 Uhr.
ca. 7:53

Nach kurzer Zeit bekomme ich Besuch. Es ist ein alter Sack mit weißen wirren Haaren. Landläufig jemand den man als Penner bezeichnen würde. Mir ist er egal, so sehr egal, daß ich sogar seinen Redeschwall mit Engelsgeduld ertrage. Irgendwann gleich wird die Bahn kommen ! Nur wohin?
Zehn Minuten später setzt sich eine Frau zu uns. Merklich jünger. So Ende 20, also in meinem Alter. Die kenne ich doch? Nee! Oder doch? Natürlich, es handelt sich um eine Tante, die ich schon mal in einer solcher Nächte vergeblich (nicht das diese Tatsache besonderer Erwähnung bedurft hätte) angequatscht habe. Na gut: trinken wir noch ein Bier. Trotz der langen Nacht und des gelungenen Absturzes habe ich noch ein wenig Geld über und spendiere den Hungerleidern ein Frühstückspils aus der Dose. Scheiß auf Dosenpfand, das ist nur was für Kleingeister und Unterbezahlte! Überlegen lächelnd, denn ich bin ganz sicher ein Gewinnertyp, bringe ich die drei Dosen aus dem Kiosk meinen neuen Freunden. Die junge Dame macht das Gesabbel des alten Mannes dann auch direkt erträglicher. Nicht daß ich ihm gespannter zuhören würde als vorher, aber in mir regt sich einfach das menschliche Bedürfnis nach so einer Nacht noch etwas Spaß mit dieser gleichaltrigen (und vor allem gleich-besoffenen) Tresenfliege zu haben. Und scheinbar kennt sie den Typen und scheinbar steht sie darauf wenn ich nett zu dem bin. Und wer ficken will, muß freundlich sein. Scheiß Welt!
Derlei in wiederholt philosophischen Gedanken verheddert, ist es mir inzwischen scheißegal, daß Bahn nach Bahn an mir vorbei Richtung Heimat, oder wohin auch immer, fährt. Eins ist klar ich will dieses weibliche Wesen flach legen. Das ist meine Mission! Jawoll! Und was sollte es auch anderes sein? Eine Miss-Wahl gewinnen? Wohl kaum. Dafür bräuchte ich eine Dusche und einen königlichen Beine-Rasierer. Da beides momentan nicht zur Hand ist, scheint mir der ausgeheckte Plan noch das sinnvollste.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Natürlich wurde aus dem vortrefflichen Plan nicht das Geringste. Natürlich wurde es immer später und irgendwann bin ich dann gegen 16.00 Uhr endlich zu Hause. Während ich noch den Alkohol und die Götter der Sucht verdamme, schlafe ich, natürlich halb angezogen, auf meiner Couch ein.
Montag Morgen klingelt der Wecker und sagt, obwohl ich kaum fähig bin irgend etwas wahrzunehmen, zu mir: "Hopp hopp Arschloch. Rasier Dich! Schlüpf in den Anzug und geh zur Arbeit!" Jawoll

 

Savage Alex

 

Fotos:

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