Backyard Freakness Fest

Stelldichein sämtlicher Subkultur-Sparten, außerdem: Liliputaner mit Bestrafermasken, Rockin' Barber mit Fangvorrichtungen, Rhein-Romantik und ein zusammen wachsendes Europa - ganz lässig bei leider lauwarmem Kölsch zu Apothekenpreisen! Eindrücke vom ersten Backyard Freakness Fest in der Kölner Essigfabrik...

173 Zentimeter Mann freuen sich im Kreis: wochenlang kübeln über Köln rekordverdächtige Niederschläge herunter, kein Lichtstrahl will auch nur ansatzweise Sommer heucheln - aber pünktlich zum Backyard Freakness Fest in der Essigfabrik ist die Sonne für einen Tag wie angeknipst; um sich genau einen Tag später wieder in ein verregnetes Grau zu verfügen. Carlos
Sehen und gesehen werden
scheint selbige Lichtquelle aber noch aus einem weiteren Grund aus dem Hinterteil: Als Co-Organisator dieses neuen Szene-Events und in Personalunion Bloody Baron Records-Chef hat er bei der Gelegenheit gleich zwei Label-Bands an den Start gebracht: "Bad Reputation" bewerben ihren neuen Longplayer "Rubber Girl"; bislang aber nur auf CD zu haben, die Vinyl-Version folgt noch. "The Jancee Pornick Casino" spielten sich für den Wrestling Bash im Oktober warm. Man muss nicht Chefkoch der Gerüchteküche sein, um zu ahnen, dass sich die Mehrheit der insgesamt 650 Leute eher für die Helden der "Turbo ACs" und "The Real McKenzies" gestylt und zu der Poller Location in Bewegung gesetzt hat. Möglicherweise auch noch für die Barbie-Punker "The Briefs"... Aber ganz bestimmt auch, um das schöne Wetter lässig mit der Szene zu genießen - halt um zu sehen und gesehen zu werden!

Anfangen sollte die Freakshow um 18 Uhr, doch befand sich an der Stelle die eine oder andere Band noch mitten im Soundcheck und wurde konsequent unaufgeregt an aller Stände Deko gebastelt. Arthur umwob seine "Rockin' Barber Shop"-Zweigstelle "M.M.S. Aristocut" gleichermaßen unterhaltsam wie ausdauernd mit Spinnweben aus der Dose - damit hat er denn später immerhin drei Frisier-Opfer eingefangen, wurde gemunkelt... Aber ganz egal, man wurstelte, machte und tat locker vor sich hin. Perfektion? Was ist das und wer will die? Richtig, niemand! Auch die beiden noch gar nicht ausgeflippten Liliputaner warteten zu dem Zeitpunkt in Alltagsklamotten auf ihre Kostümierung. Mit baumelnden Beinen hockten sie auf einem Stand-Tisch und bangten, welche "Bestrafermasken"-Modelle sie wohl erwarten: "Hoffentlich sind die am Kopf verstellbar!" Große Erleichterung, die von Carlos organisierten Luxusteile waren

Fuckin' klebrige Deko für die Rockin' Barber Shop-Zweigstelle

Einsatz gerettet, die Betrafermasken passten perfekt!
individuell verschnürbar! Und - puh, welch Freude! - auch NICHT wie Pulp Fictions Hinkebein-Kappe mit Reißverschlüssen versehen. Zum Ausgleich hat einer der beiden eine heftig große Windel umgeschnallt bekommen. Ob das wohl der Grund war, weshalb ein Gast - etwa ein gestresster Vater? - eine Liliputaner-Phobie entwickelt hat? Durchaus grenzwertig, das Styling, auch für und unter Freaks...

Die allgemeine Verspätung war auch für die üblichen Schlachtenbummler kein Ding, überall die Parole "Gelassenheit!". Als bewährte Festivalfüchse hatte die vor dem Bauzaun wartende Meute natürlich mitgebrachtes Kölsch und andere Tankstellen-Minibar- Accessoires zum Vorglühen dabei. Und all das musste ja traditionell noch vor dem Check-In zack-zack in den Hals. Zumal die Regel lautete: Eintritt verfällt, sobald Gast das Gelände verlässt; da kannte die gut gebriefte und gestrenge Security nix; und das bei bejammernswert pieselwarmem Bier für freche drei Euro je 0,3-er Kölsch auf dem Festivalgelände! Rock'n'Roll und Punk gehen anders, das ist man klar! Jede Menge Leute blieben wohl auch deshalb konsequent renitent vor den Toren und verfolgten den Spektakel von dort aus - ab spätestens 21 Uhr eine hackedichte Alternativ-Party und Kontaktbörse mit rauem Charme. Klarer Wettbewerbsnachteil: keine Biergarten-Ausstattung. Aber das wär's gewesen. Möglicherweise auch deshalb extra schmerzfrei: einer der selbst ernannten Vereinspräsidenten nahm Sänger Paul McKenzie beim Ausladen für den Gig gnadenlos in der Fasel-Mangel: ohne Punkt und Komma den "hääärlissscchhen, wooonderffffuuuulll Rhine" mehr oder weniger nachvollziehbar preisend, wollte er ihm selbigen ganz unbedingt bei Dunkelheit (!) zeigen. Wie verführerisch! Paul musste das Date trotzdem absagen, weil gerade unter dezentem Zeitdruck und eigentlich mitten im Interview drin. Aber der Mann hat das Herz am rechten Fleck und offenbar ein ganz besonders großes für ultraknülle Fans mit romantischer Ader. Absolut cool und nett zu seinen Fans, der Mann!

Und auf dem Festivalgelände? Biergarten und Außenstände waren bei der Hitze ganz klar der absolute Hit. Eine entspannte, lässige Mischung aus allen Subkultur-Disziplinen hat sich da
Turbo AC trifft Trendameise
getroffen oder gegenseitig abgecheckt und auch -gefüllt: Punks, Psychobillies, Rock'n'Roller, Sixties Style, Skins und weiß der Himmel wer noch alles. Ein Mix wie ein Klassentreffen der angenehmen Sorte. Endlich sah man mal wieder die eine oder andere Nase, die zwischenzeitlich vom Erdboden verschluckt schien. Sozusagen Kölscher Klaaf mit europäischem Flair - auch eigens aus Belgien angereiste Gäste wurden gesichtet. Da konnte das provinzielle Gestichel gegen Düsseldorfer Szene-Kolleginnen und -Kollegen locker Pause machen, alle hatten auch so reichlich Gesprächsstoff. So wurde sich auf das Wesentliche konzentriert: prächtig amüsieren, lachen, lästern, Kontakte pflegen, neue Leute kennen lernen, Fachsimpeln und all das. Und die Bands immer lustig mittendrin! Motto: Turbo AC trifft Trendameise. Weniger cool, aber extrem lachintensiv: Illusionist Magic Martin und seine rätselhafte Wollpuschel-Bespaßung. War das fortgeschrittene Logik für Erwachsene? Egal, die Versuchspersonen konnten beim besten Willen den Sinn nicht verstehen: ein paar lauwarme Kölsch, hemmungsloses Gelächter und doofe Sprüche waren der Lösung derart diffiziler Aufgaben nicht förderlich. Der Punktsieg geht aber an
Magic Martin zauberte Ratlosigkeit auf die Gesichter
Magic Martin: Advantage souveräne Schlagfertigkeit, der Mann kann noch Mal gebucht werden. Bleibt nur die Frage offen, ob sich irgendwer das gratis angebotene Bloody Baron-Label am Land of Pain-Stand hat wohin tätowieren lassen!? O.k., das wird wohl niemand freiwillig zugeben...

Läster-Thema des Tages: Festival-Lineups im Allgemeinen und Besonderen (hier: "The Dynaminds", "Bad Reputation", "Sharksoup" spielten kurzfristig an Stelle von "The One Man Army", "The Briefs", "Turbo ACs", "The Real McKenzies", "The Jancee Pornick Casino"). Tenor: zu viele Bands werden präsentiert, die eh in absehbarer Zeit wieder in der Nähe spielen. Keine unberechtigte Szene-Arroganz, denn die teilnehmenden Bands auch aus Übersee sind in der Tat nicht rar! Was aber 650 Leute im Einzelfall unter "guter Band" oder "gelungener Band-Kombi" verstehen, möchte ich als Veranstalter auch nicht raten wollen; undankbare Sache, das! Und trotzdem stimmt im Kern, dass durch das große Angebot genau die Exklusivität leidet, die bekanntlich alle Sparten der Subkultur ausmacht. Was lernen wir aus all der Theorie für die Praxis? Richtig, die meisten der Herr- und Damenschaften kommen ja trotzdem, um sich bei der Gelegenheit dem Volk zu zeigen. Geht auch völlig in Ordnung, dass hier und da bei einem Remmidemmi die Arroganzpflicht der gemeinen Präsenzpflicht folgt.

Auch im Konzertsaal ist alles lecker entspannt, aber natürlich noch hitziger als im Biergarten. Großer Pluspunkt: genug Platz für alle. Die Jungs konnten nach Lust und Laune bashen und
Kein entspanntes Verhältnis: Paul McKenzie und die Monarchie
poguen, alle ruhigeren Vertreter konnten das Geschehen auf der Bühne und davor ungestört verfolgen. Vereinzelt wurde bedauert, dass durch den großen Raum der Sound leidet; aber im Großen und Ganzen war die Location für alle Bespaßungs- Bedürfnisse mehr als o.k. Entspannt auch die Bands: weder show- noch musikmäßig wurde das Rad neu erfunden, alle haben routiniert und souverän vor mehr oder weniger Zuschauern ihr Ding gemacht. Klar, "Bad Reputation" haben neue Songs vorgestellt; aber wie immer laut, schnell, schmissig mit einem Hemmer, der seinen jüngst erschlankten Luxuskörper im spacken Leo-String agil über die Bühne rockte. Klar, "The Real McKenzies" haben einen neuen Drummer und stehen in neuer Aufstellung auf der Bühne (davon mehr im Interview mit Paul McKenzie): aber die Songs sind bekannt und alt bewährt, auch waren Pauls Ansagen wieder mit politischen Statements gespickt: diesmal wurde halt zur Abwechslung Mal gegen die Monarchie gemotzt.

Meine persönlichen Favoriten und Helden waren denn auch - wie bereits vorab gemutmaßt - die "Turbo ACs" und "The Real McKenzies". Da soll noch jemand sagen, dass hier Erwartungen enttäuscht wurden!? Für mich leicht zu bespaßende Minimalistin vor dem Herrn ging der Event jedenfalls völlig in Ordnung! Das nächste Backyard Freakness Fest kann gerne an den Start gehen!

Lady Wow aka Bettina





Fotos:
Paul McKenzie von Miss Fortune
Sonstige von Lady Wow

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